Mittwoch, 18. September 2013

Blackberry ist (beinahe) für Nerds!

Wer erinnert sich nicht an jene Zeiten: Mittagspause mit Kollegen im Restaurant um die Ecke, am Nebentisch setzt sich eine Gruppe Nicht-Ingenieure, die Sorte, die man nicht mag, weil sie besser gekleidet und bezahlt sind als man selbst. Kaum dass sie sich gesetzt haben, folgt der unvermeidliche Griff in die Sakko-Tasche, und schon schmücken den Tisch neben Tellern, Messern, Gabeln und Servietten diese etwas breit geratenen Mobiltelefone mit den vielen Tasten. Eines war allen klar: Es gibt nichts uncooleres als Blackberrys! Was also hat mich bewogen, einen kühnen Selbstversuch mit eben jenem Kultgegenstand des Feindes zu machen - und auch noch Gefallen daran zu finden?


Bild: Kärlis Dambräns,
Creative Commons BY 2.0
Die Zeiten haben sich geändert. Push-Email ist nicht mehr länger ein Privileg weniger Hersteller, kryptographische Sicherheit bei der Email-Übertragung (offenbar) nicht mehr ein Muss, und Firmen-IT-Abteilungen beginnen, sich dem Zeitgeist zu beugen und ihre leitenden Angestellten mit marktüblichen Smartphones auszustatten. Ergo trägt Manager, der etwas auf sich hält, heutzutage meist ein Telefon mit Apfel auf der Rückseite. Vorbei sind die Zeiten des Quasi-Monopols für die Telefon-Schmiede aus Kanada, und spät begann man einzusehen, dass die Produkte aus eigenem Haus längst nicht mehr smart genug waren, um Gelfrisurenträger-Herzen höher schlagen zu lassen. 


Es sieht nicht wirklich gut aus für den Hersteller der möglicherweise besten Schreibmaschinen-Telefone der Welt. Spät, vielleicht zu spät begann man, ein neues Betriebssystem (Blackberry 10 OS) zu entwickeln und eine neue Generation von Telefonen damit ausszustatten. Das Z10 ist ein typisches Smartphone, ohne Tastatur und mit großem Bildschirm. Später kam das Q10 hinzu, das in der Tradition klassischer Blackberry-Telefone mit einer QUERTY-Tastatur ausgestattet ist. Das neue Betriebssystem ist stark inspiriert von WebOS, mit dem zunächst Palm, dann, nach der Übernahme, HP trotz guter Kritiken und einer eingeschworenen Fan-Gemeinde darin gescheitert war, noch in den Smartphone-Markt als dritte Macht neben iOS und Android einzudringen. Vieles spricht dafür, dass dies alles zu spät kam. Stand heute steht das Unternehmen zum Verkauf, und die neuen Geräte verkaufen sich offenbar nicht in den erhofften Stückzahlen. Kein Wunder, dass ein Blackberry-Telefon nun für jemanden wie mich plötzlich zu einer ernsthafte Option wird!

Mein Selbstversuch mit begann mit dem Abgrasen des Amazon Marketplace sowie eBay, um nicht den vollen Preis für ein Neugerät zahlen zu müssen. Ich entschied mich für ein Q10, weil ich als alter Fan des Palm Pre gern wieder ein Gerät mit echter Tastatur haben wollte und auch, weil es über gewisse innere Werte verfügte, die mir wichtig erschienen (sehr ausdauernde Batterie, sehr guter Empfang). Anfang letzter Woche hielt ich das gute Stück nun in den Händen - etwas breiter als handelsübliche Smartphones, aber gut in der Hand liegend, sehr schöne Tastatur, weich, aber mit klarem Druckpunkt, sehr guter Bildschirm. Aber heutzutage kauft man ja nicht nur Hardware - auch bei Telefonen hängt mindestens genau so viel von der Software ab. Wie ist nun meine Erfahrung nach etwas mehr als einer Woche Selbstversuch?

Das Telefon fühlt sich schnell an - viel schneller als je ein WebOS, nicht langsamer als die aktuellen Oberklassen-Modelle der Konkurrenz. Der Empfang ist tatsächlich hervorragend, und die Batterie hält deutlich länger, als ich das bisher bei anderen Smartphones erlebt habe.

An die Software habe ich mich sehr schnell gewöhnt. Die Gesten unterscheiden sich von WebOS, aber letztlich ist die Philosophie eine sehr ähnliche und gefällt mir viel besser als die Icon-Sucherei und Knopfdrückerei bei Android. Die Kommunikations-Schaltzentrale - der Blackberry Hub ist von überall mit einer einfachen Geste zu erreichen und enthält nicht nur Emails, sondern auch Benachrichtigungen aus sozialen Netzen (z.B. Facebook), instant messaging (Google Talk) etc. - das ist sehr bequem und durchdacht. Apps startet man über Icons, durch die seitenweise geblättert werden kann, so wie das bei Smartphones üblich ist, allerdings habe ich es als Besitzer eines Telefons mit Hardware-Tastatur noch etwas leichter: ich tippe einfach los, und das Telefon startet automatisch eine Suche nach Apps und Dokumenten - sehr praktisch. Die Auswahl an Apps ist - wie nicht anders zu erwarten war - überschaubar. Immerhin hat der Hersteller selber Hand angelegt und "das Wichtigste" selber beigelegt - ein (ausgezeichneter) Browser, Facebook und Twitter sind dabei, eine Karten-Applikation und diverser Kleinkram, für den ich mich nicht weiter interessiert.

Ich bin kein Fan von "Apperitis", für mich ist wichtig, ganz bestimmte Apps zu haben, die ich dann intensiv nutze. Das trifft sich gut, denn - wie nicht anders zu erwarten war - das Angebot an Apps für diese Plattform ist im Vergleich zu iOS und Android ziemlich überschaubar. Neben den oben genannten Apps aus dem Standard-Lieferumfang sind für mich noch Dinge wie Instapaper, Lesesoftware für Ebooks und ein Tapatalk-Client unverzichtbar. Hier habe ich leider (bisher) nur eine Teilabdeckung meines "Grundbedarfs" erreichen können: es gibt eine sehr schöne Ebook-App PlayEpub für unter einem Euro, die für nicht-DRM-geschützte EPUBs sehr gut funktioniert und darüberhinaus sogar Instapaper kann. Das lässt mich einerseits verschmerzen, dass es keine "echte" Instapaper-App für Blackberry 10 OS gibt, andererseits funktioniert die Instapaper-Anbindung in PlayEpub derzeit nicht - aufgrund von Störungen oder möglicherweise auch Protokolländerungen von Seiten Instapapers, wie der freundliche Entwickler des Programms mir mitteilte, der mir aber auch versprach, sich um die Sache zu kümmern. Eine Kindle-App gibt es für Blackberry 10 OS - nur nicht für mich! Offenbar ist die App nicht für den deutschen Markt freigegeben. So richtig durchschaut das derzeit keiner, ich warte noch.

Am schwersten allerdings wiegt für mich das Fehlen einer Tapatalk-App. Als Foren-Junkie ist für mich der Zugriff auf Foren über eine brauchbare Mobil-App ein absolutes Muss. Auf WebOS gibt es Forums, das aber einige unangenehme Einschränkungen mitbringt und leider schon länger nicht mehr weiterentwickelt wurde - dies war auch einer der Gründe, dass mein Pre3 jetzt in der Schublade liegt. Vor dem Kauf meines Q10 tätigte ich eine schnelle Internet-Suche, ob es denn Tapatalk dafür gäbe. Tatsächlich wurde ich fündig - und bestellte. Nun musste ich leider feststellen, dass Tapatalk die App vor einigen Wochen vom Markt genommen hatte, nach eigenen Aussagen, weil es Anforderungen von der Android Runtime in der Blackberry App World gebe, die sie so aktuell nicht erfüllen könnten (es handelt sich um eine Android-Portierung), man arbeite daran, habe aber aktuell nicht genug Ressourcen. Das ist mehr als ärgerlich, vor allem für Nutzer, die die App zuvor gekauft hatten und sie nun - z.B. nach Systemupdates oder Neuaufsetzen eines Gerätes - nicht mehr herunterladen können. Hier heißt es immer noch "warten".

Ich muss häfig SMS und Emails in verschiedenen Sprachen schreiben - deutsch, englisch und ukrainisch. Ein Telefon mit Hardware-Tastatur steht da vor besonderen Herausforderungen, gerade wenn eine andere Schrift (kyrillisch) betroffen ist. Mein Telefon ist ein Import aus dem Vereinigten Königreich, es hat also keine mit Umlauten beschrifteten Tasten. Das stört in der Praxis überhaupt nicht, weil das Telefon die meisten Wörter beim Tippen erkennt und entsprechende Ersetzungen anbietet. In der Praxis funktioniert das erstaunlich gut. Ungelöst ist hingegen das Verfassen ukrainischer Nachrichten; zum Einen wird die Sprache überhaupt nicht unterstützt (es gibt Russisch, aber diesen Dialekt beherrsche ich nicht aktiv), zum Anderen fehlt selbst für Russisch eine Möglichkeit zur Transliterations-Eingabe. Besitzer alter Blackberry-Modelle (uncool!) haben mir berichtet, dass so etwas früher immer unterstützt wurde, und in Foren kann man lesen, dass es wohl in der aktuellen Betriebssystemsversion noch nicht fertig sei. Auch hier ist offenbar Warten angesagt. Ich hoffe doch, dass, wenn es dann kommt, auch die ukrainische Sprache unterstützt wird!

Nun wird es Zeit für ein Fazit. Nach einer Woche Selbstversuch freue ich mich über Hardware, die mir sehr gut gefällt, ein sehr attraktives Betriebssystem, das intuitiv und elegant daher kommt und nicht zuletzt das gewisse Etwas und den Hauch der Individualität - Blackberry ist cool (habe ich je etwas anderes behauptet?).

Leider ist das nicht alles. Ich weiß, was ich von meinem Telefon erwarte, und mein Q10 liefert einen Teil davon mit Bravour, aber ein anderer Teil fehlt, und das tut weh. Die Situation kann sich diesbezüglich durchaus in näherer Zukunft zum Guten wenden: wenn Instapaper wieder in PlayEpub funktioniert, wenn Tapatalk endlich die Ressourcen gefunden hat, seine Android-portierte App für Blackberry 10 OS fertigzustellen und wenn Blackberry selber die oben genannten Lücken in der Texteingabe stopft. Dass dies geschehen wird, ist freilich nicht garantiert, und natürlich sind meine Anforderungen ziemlich individuell - andere Zeitgenossen dürften hier ganz andere haben.

Aktuell bin ich begeistert von dem Gerät und (noch) voller Hoffnung, dass meine persönliche Liste der Anforderungen bald ganz erfüllt sein wird. Ich wünsche dem Unternehmen, dass es diese schwierige Zeit übersteht und der Plattform die Pflege zukommen lassen kann, die es benötigt, um sich den Platz am Markt zu sichern, den sie verdient.

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